Auf.ge.worfen
geschrieben am 16.06.2016 06:00In der BRUECKE-Rubrik Auf.ge.worfen liefern sich die junge Poetry Slamerin
Estha Sackl und der Schriftsteller und Universitätsprofessor Alois Brandstetter unter dem
Titel Braucht Literatur Performance? einen aufschlussreichen Diskurs.
Braucht Literatur Performance?
Irgendwie ist das schon widersprüchlich. Jetzt sitze ich hier in der Sonne an meinem Computer und warte darauf, dass sie mir einfallen. Die Worte, die Argumente, die perfekte Erklärung. Wie kann ich dich, lieber Leser oder liebe Leserin (Dass wir uns duzen ist doch in Ordnung? Beim Poetry Slam macht man das so.) davon überzeugen, dass Literatur Performance braucht- und zwar (Trommelwirbel) – ohne Performance?
Mein Problem ist folgendes: Ich bin Poetry Slammerin (Ja, das ist an sich auch schon ein Problem, aber ich will auf was Bestimmtes hinaus). Poetry Slam bedeutet, einen selbstgeschriebenen Text vor einem Publikum vorzutragen. Dabei darf und soll die bewusste Selbstinszenierung des Vortragenden die anschließende Bewertung der Zuschauer und Zuschauerinnen positiv beeinflussen und einen (hoffentlich) zum Gewinner des Abends küren.
Slammer schreiben ihre Texte also nicht, sie hören sie schon davor in ihrem Kopf. Sie fühlen sie in ihrer Brust. Sie denken nicht daran, wie sie sie aufschreiben werden, sondern wie sie wirken werden. Und dann schicken sie sie nicht auf einem Blatt Papier hinaus in die Welt und hoffen, dass sie gelesen und richtig verstanden werden. Nein. Sie stellen sich auf eine Bühne und schmettern sie den Hörern entgegen. Und zwar so, wie sie sie erschaffen haben. Sie leben die Geschichten in ihrem Kopf. Oder: Sie performen ihre Literatur.
Die Frage ist aber nun ja nicht, wie man Literatur umsetzen kann, sondern ob die Literatur Performance braucht. „Brauchen“ steht im Duden beschrieben als „nicht ohne etwas auskommen“ oder „nicht entraten können“ – aber auch als „verwenden“, „in Anspruch nehmen“. Und da wir die Literatur selbst nicht fragen können, was sie denn nun braucht, würde ich gerne ein paar Fragen in den Raum stellen.
Braucht eine Suppe Salz? Braucht das Leben die Liebe? Wie drängend kann Stille sein? Wie lange muss sie dauern, damit ein Flüstern danach laut klingt? Wie verzweifelt muss man sein, damit jede noch so leise Regung der Stimme zum erstickten Schrei wird? Und: Welches Gesicht gehört zum Satz: „C’est la vie“?
Worauf ich hinaus will: Die Intensität des Literaturerlebnisses sowohl als Schaffender als auch als Genießender erreicht durch Performance einen ganz neuen Horizont- manche Dinge brauchen zur formvollendeten Perfektion mehr als ein paar Buchstaben. Aber nicht nur das: Die Performance gibt dem Künstler oder der Künstlerin die Chance, es selbst in der Hand zu haben, wie sein oder ihr Werk in der Welt ankommt, wen es erreicht und wie es verstanden wird.
Bei Textperformance geht es darum, der Schrift eine Stimme zu geben. Den Worten Leben einzuhauchen. Das volle Potenzial, dass in ein paar Gramm Tinte steckt, zu entfalten. Der Poesie die Macht zu geben, aktiv zu werden anstatt passiv darauf zu warten, gelesen zu werden.
Es geht doch am Ende immer um das Fühlen. Auch in der Literatur. Und was passiert, wenn Literatur Performance trifft? Du fühlst. Auf jeden Fall können Worte für sich selbst stehen und es gibt wohl keine Notwendigkeit, der Sprache als solches Hilfsmittel wie Gestik, Mimik, Pausen, Betonung, Lachen, Schreien, Singen oder sogar Tanzen zu geben. Aber manchmal will Literatur Performance. Sie sehnt sich und sie drängt manchmal danach. Also verwenden wir Performance, um Literatur zu untermalen und zu unterstützen.
Im Endeffekt braucht die Literatur die Performance vielleicht nicht wie die Luft zum Atmen. Aber auf jeden Fall wie das Salz in der Suppe – oder wie das Leben die Liebe.
Estha Sackl
Estha Sackl (24), aus Steindorf am Ossiacher See. Sie lebt als Studentin in Graz und folgt mit dem Studium der Biologie und Umweltkunde ihrer Liebe zur Natur, um später auch in diesem Fach zu unterrichten. Ihre Leidenschaft fürs Schreiben, Zeichnen und Schauspielern sieht sie als Ausgleich zu ihrem Alltag. Diese lassen sich zudem sehr gut für die Slam-Poetry-Bü hne verbinden. Estha war 2015 für den Ö-Slam in Innsbruck nominiert.
Live performte Literatur
Mehr zufällig bin ich einmal Zuhörer einer spontanen Oral-Poetry-Performance, einer Slam-Poetry-Session geworden. Mir war aber relativ bald klar, dass dies nicht meine literarische Lieblingsveranstaltung der Zukunft sein wird. Obwohl ich gerne zugebe, dass sich das spontan Hervorgebrachte mit dem bei hergebrachten „Dichterlesungen“, bei denen ein Autor sein vorgeformtes „Werk“, sein Artefakt, schlecht artikulierend zum besten gibt, von nicht enden wollenden Lyrik-Lesungen ganz zu schweigen, durchaus wohltuend abheben kann…
Slam heißt laut Langenscheid auf Deutsch „knallen“ und das Standardanwendungsbeispiel ist quer durch die Wörterbücher slam the door shut, also „die Tür zuknallen“. Slam-Poetry ist also eine „lautschallige“ Angelegenheit, das betrifft den in einer Art Karaoke-Competition erzeugten Text und wohl auch die Reaktion des Publikums. Die vorgegebenen „vorgeschriebenen“ Themen sind wohl eher humorig als „seriös“, und die Ergebnisse wohl Trash, Kabarett oder Nonsensliteratur. Aber nichts gegen Nonsense, etwa von der Machart der Limericks!
Auch Parallelen zur Konkreten Poesie, etwa zu Lautgedichten nach der Weise der Meisterwerke des Ernst Jandl, können sich ergeben … Slam-Poetry-Veranstaltungen sind wohl eine urbane dekadente Variante zum volkstümlichen Gstanzelsingen und Schnaderhüpfeln. Und der Vortrag im Wettbewerb erinnert den Literarhistoriker und Altgermanisten natürlich an den Sängerkrieg auf der Wartburg...
Mich hat manches an den Texten auch an die sogenannte Pataphysik eines Alfred Jarry erinnert: Wolf Wondratschek hat aus diesem Geist der Pataphysik des Alfred Jarry den mustergültigen Satz formuliert: „Als Alfred Jarry merkte, dass seine Mutter noch Jungfrau war, bestieg er sein Fahrrad“. Und ein wunderbarer Nonsense Satz findet sich auch in allen Einführungen in die Generative Transformationsgrammatik von Noam Chomsky: Colorless green ideas sleep furiously … (deutsch ergibt das in etwa den unsinnigen, aber syntaktisch grammatischen Satz: „Farblose grüne Ideen schlafen zornig.“)
Immer noch phänomenal sind für mich in diesem „Tiefsinn“ die Buchtitel von Wolf Wondratscheks ersten Veröffentlichungen im Hanser Verlag: „Früher begann der Tag mit einer Schußwunde“ und: „Ein Bauer zeugt mit einer Bäuerin einen Bauernjungen, der unbedingt Knecht werden will“.
Über die Wichtigkeit der Performanz, also der konkreten Gestaltung, des „Vortrags“ von Literatur bestehen wohl keine Zweifel. Bei der „publikumsbezogenen und live performten Literatur“ wird freilich die Performanz zur eigentlichen Botschaft, auf Kosten des Inhalts. Sie passt also stimmig in eine Zeit, deren Zeitgeist vom viel- oder nichtssagenden Slogan geprägt ist: Der Weg ist das Ziel. In der Sprachwissenschaft ist Performanz übrigens der Gegenbegriff zu Kompetenz, sie ist dasjenige, was herauskommt, wenn entsprechend den Regelvorgaben etwas verlautbart wird. Die Performanz der performten Literatur ist freilich in Gefahr, die Message zu neutralisieren. So landen wir beim weiteren Zeitgeist-Mantra: The medium is the message (Marshall MacLuhan).
Alois Brandstetter
Als Schriftsteller begann Alois Brandstetter erst relativ spät zu wirken, wurde aber nach den ersten Förderpreisen (1973 Oberösterreich, 1975 Kärnten) rasch bekannt. 1979 war er Jurymitglied des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs. Er liebt Sprachspiele und geht seinen Themen und Erinnerungen im Detail und in plastischer Sprache nach, aber auch vielen Wörtern im humanistisch-etymologischen Sinn auf den Grund. Man sagt ihm nach, dass er trotz des flüssigen, oft liebevollen Stils kaum ein Detail dem Zufall überlässt. Auf spezielle Art zeigt sich das in der subtilen Wahl seiner Titel. Man bezeichnet ihn als konservativen Autor der „alten Schule“, als Ästhet, der sich zuweilen auf verlorenem Posten fühlt, aber seine Umgebung doch mit kritischem Wohlwollen betrachtet – und kommentiert (Wikipedia).
Lesung
Am 26. Juli 2016 liest der Autor aus seinen Werken 20 Jahre Kraigher Haus, Feistritz im Rosental
Alois Brandstetter, geb. 1938 in Pichl bei Wels(OÖ), Studium der Germanistik und der Geschichte in Wien, Promotion 1962, anschließend Wissenschaftlicher Rat und Professor an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken. Lehrte von 1974 bis 2007 als Professor für Deutsche Philologie an der Universität Klagenfurt. Zahlreiche Auszeichnungen, u. a. Wilhelm-Raabe- Preis der Stadt Braunschweig (1984), Kulturpreis des Landes Kärnten für Literatur (1991), Großes Goldenes Ehrenzeichen der Republik Österreich (Pro Arte et Scientia), Adalbert-Stifter-Preis und Großer Kulturpreis des Landes Oberösterreich (2005). Neben wissenschaftlichen Arbeiten auch Herausgaben, Erzählungen und ungefähr 35 Romane. Autobiographisches: Vom Schnee der vergangenen Jahre (1979). Kleine Auswahl an Roman-Beispielen: Die Abtei (1977), Die Mühle (1981), So wahr ich Feuerbach heiße (1988), Hier kocht der Wirt (1995), Groß in Fahrt (1998), Ein Vandale ist kein Hunne (2008), Zu Lasten der Briefträger (1974/2004) und Zur Entlastung der Briefträger (2011), Kummer ade! (2013), Aluigis Abbild (alle im Residenz Verlag Salzburg, siehe auch Seite 31, Bruecke 177-178).