Landschaft Lesen in Mallnitz und anderswo
geschrieben am 30.03.2021 14:41Eine Gemeinde im Nationalpark Hohe Tauern
Zu den Orten, auf die Alfons Dworsky in seinen Architekturvorlesungen an der TU Wien und anderswo immer wieder zurückgekommen ist, gehört die Gegend von Mallnitz am Südrand der Hohen Tauern. Denn dort hatte er, nachdem Mallnitz Nationalparkgemeinde geworden war, über Jahre ein örtliches Entwicklungskonzept und Vorschläge für die Flächenwidmung erarbeitet. So erzählte er mehreren Generationen von Studierenden oder denen unter ihnen, die sich für Kulturlandschaft und Städtebau und für alle Arten der territorialen Transformation begeistern konnten, lebhaft von seinen Erfahrungen als Planer und Lehrer. Immer ging und geht es dabei darum, einen sensiblen Blick dafür zu entwickeln, warum die Landschaft und die darin befindlichen Siedlungen so aussehen, wie sie aussehen. Durch Seitenblicke in andere (Welt-)Gegenden und Umwege in verschiedenste Wissensgebiete dauerte es oft eine Weile, wieder zur Ausgangsfrage oder zu einem konkreten Landstrich zurückzufinden.
Begonnen hat die Erzählung oft damit, dass er in einfachen Strichzeichnungen die Entstehung verschiedener Kulturlandschaften nachgezeichnet hat, so dass beispielsweise die flachen Talböden, die sich auf verlandeten Karseen längst geschmolzener Gletscher gebildet haben, begreiflich werden, wie auch die steilen Waldzonen und die darüber liegenden Almen. Kühe, die sich mit besonderer Vorliebe auf überwachsenen Wendeplatten alter Römerstraßen sonnen, die beschwerliche Infrastrukturgeschichte des Eisenbahnbaus und der touristischen Erschließung der Berge, von Lawinen bedrohte Bauten und Habitate autochthoner Bachforellen – all das ist in der Umgebung von Mallnitz zu finden. Die Wege der Säumer, die Güter über die Tauernpässe transportierten, die Holzgewinnung und die Bewirtschaftung von Almen, Bergmähdern und hochgelegenen Höfen hat Alfons Dworksy genauso lebensnah zu vermitteln versucht, wie die gegenwärtigen Schwierigkeiten Naturschutz, Umgang mit Naturgefahren, Landwirtschaft und Tourismus in Balance zu bringen. Die kleine Ortschaft, gelegen auf 1.200 Meter Seehöhe, ist das letzte Dorf dieses Seitentals des Mölltals und wurde erst mit dem 1909 eröffneten Tauernbahntunnel und der Bahnstation Mallnitz-Obervellach zum Transitort der Alpenquerung ins Gasteinertal und zu einem leicht erreichbaren Reiseziel für Alpinismus und Wintersport. Das Gemeindegebiet liegt zur Gänze im Bereich der hochalpinen landwirtschaftlichen Produktionsgebiete mit fast ausschließlich Grünland- bzw. Grünland-Wald-Wirtschaften und entsprechend niedrigen Erträgen. Dennoch gab es bis Ende der 1970er-Jahre noch 51 landwirtschaftliche Betriebe (die Hälfte davon im Vollerwerb). Weniger als die Hälfte sind heute noch übrig; etwa 15 Almen werden derzeit mit Weidehaltung bewirtschaftet.
Im Zuge der Nationalparkgründung gab es Bestrebungen, kritikwürdige raumplanerische Entscheidungen rückgängig zu machen. Wie andernorts auch, war seit den 1960er-Jahren viel zu viel Bauland gewidmet worden, zudem in lawinengefährdeten Zonen – eine Problematik, die mit den Extremwetterereignissen des Klimawandels noch zunehmen wird. Leider wurde nur ein Teil der im örtlichen Entwicklungskonzept vorgesehenen Rückwidmungen umgesetzt, obwohl die Bemühungen von ausführlichen Gesprächen mit den Grundstückseigentümern begleitet worden waren. Wie sich alpine Kulturlandschaften in Zukunft verändern werden – vom Umgang mit Naturgefahren, Erhaltung, Um- und Rückbau der Infrastrukturen über die Situation der Landwirtschaft bis zur Bedeutung des Sommer- und Wintertourismus, ist derzeit vielerorts schwer absehbar. Mut zur Revision bestehender Konzepte und Planungen wäre jedenfalls für viele Orte sehr wünschenswert.
Die dreiteilige Serie „Landschaft Lesen“ bietet einen Einblick in die vielfältige Beziehung zwischen Landschaft und gebauter Umwelt. (Hg.: LandLuft, AutorInnen: Alfons Dworsky und Judith Leitner, dworsky.landluft.at). Im Rahmen des Baukulturjahrs 2021 sind im Oktober 2021 eine Buchpräsentation sowie ein Vortrag beim Symposium „Landschaft weiterdenken“ am Weissensee geplant.
Judith Leitner
* 1981 in Wien, aufgewachsen im Südburgenland, ist Architekturforscherin mit Schwerpunkt Architektur und räumliche Transformationen abseits der Städte.