Glitzernder Schmuck
geschrieben am 11.12.2013 10:32Die Geschichte des undurchsichtig gelben Bernsteins ist ebenso faszinierend wie der Schmuck- und Kunstgegenstand selbst. Die Wertschätzung, die die Kostbarkeit aus fossilem Harz bei den Griechen, Römern und bei den Herrschern späterer Jahrhunderte erfuhr, zieht bis heute die Menschen in seinen Bann.
Die Tränen der Götter
Von der Faszination des Bernsteins für gekrönte Häupter
Die alten Römer liebten dramatische
Geschichten. Eine davon erzählte, wie der
kühne Himmelsstürmer Phaeton, Sohn
des Sonnengottes Helios, mit dem Sonnenwagen
seines Vaters in den Tod stürzte,
nachdem er die Kontrolle über das
rasende Gefährt verloren hatte. Sein tragisches
Ende ging seinen Schwestern
angeblich so nahe, dass sie sich aus
Trauer in Bäume verwandelten und bittere
Tränen vergossen, die daraufhin zu
Bernstein wurden. So ist es zumindest
beim römischen Dichter Ovid zu lesen, in
dessen Gefolge man das fossile Baumharz
fortan die „Tränen der Götter“ nannte. Der
Naturwissenschaftler Plinius hatte da eine
deutlich nüchternere Erklärung: Er erklärte,
dass der Bernstein aus dem herabfließenden
Mark von Bäumen aus der Gattung
der Fichten entstanden sei und von den
„Inseln des nördlichen Ozeans“ stamme.
Sicher ist jedenfalls, dass der schimmernde
Schmuckstein bei seinen römischen
Landsleuten ganz hoch im Kurs
stand, zumindest bei der Oberschicht, die
sich derartigen Luxus auch leisten konnte.
Der für seinen exzentrischen Lebensstil
bekannte Kaiser Nero hatte ein besonderes
Faible für Bernstein und schickte eine
eigene Gesandtschaft auf die Reise ins
ferne Germanien, um sich das kostbare
Gut direkt an der Quelle besorgen zu
lassen. Sie kam mit einer solchen Menge
Bernstein zurück nach Rom, dass Nero
diese geradezu verschwenderisch einsetzen
konnte: Für einen Tag lang ließ er die
beim Volk überaus beliebten Gladiatorenspiele
in ein goldgelb glitzerndes Spektakel
verwandeln. Der Boden der Arena war
gänzlich mit Bernsteinstücken bedeckt
und in die Netze, die die Zuschauer vor
den wilden Tieren schützen sollten, war
Bernstein geflochten.
Die Herrscher späterer Jahrhunderte
betrachteten den Bernstein dagegen wieder
als elitäres Luxusgut und ließen sich
bevorzugt kostbare Geschmeide daraus
fertigen. Das wohl berühmteste Kunstwerk
aus dem fossilen Baumharz gab jedoch
der erste Preußenkönig Friedrich I. in
Auftrag: ein ganzes Zimmer mit Wandverkleidungen
aus Bernsteinelementen.
Ursprünglich war dieses Bernsteinzimmer
für das Charlottenburger Schloss entworfen
worden, wurde dann aber doch im
Berliner Stadtschloss installiert. Der erste
Entwurf stammte von dem damals
bekannten Architekten und Bildhauer
Andreas Schlüter, für die Ausführung
sorgten die Bernsteinmeister Ernst Schacht
und Gottfried Turau. Der Nachfolger Friedrichs
I., dem man aufgrund seiner Liebe
für alles Militärische den Beinamen „Soldatenkönig“
gab, hatte an derlei Kunstwerken
wenig Interesse. Als daher der
russische Zar Peter der Große einmal
Berlin besuchte und seine Bewunderung
für das Bernsteinzimmer zum Ausdruck
brachte, schenkte Friedrich Wilhelm I. die
kostbare Raumausstattung kurzerhand
seinem russischen Amtskollegen. Im
Gegenzug wurden großgewachsene russische
Soldaten für die Garde des „Soldatenkönigs“
nach Berlin geschickt.
Nach dem Tod Peters des Großen im
Jahr 1721 ließ seine Tochter, die Zarin
Elisabeth, das Zimmer erweitern und
zunächst im Winterpalast in St. Petersburg
installieren, ehe es schließlich im Katharinenpalast
von Zarskoje Selo, 25 Kilometer
südlich von St. Petersburg, eingebaut
wurde. Seine endgültige Form erhielt das
einzigartige Kunstwerk durch den italienischen
Architekten Bartolomeo Francesco
Rastrelli, der seit seiner Jugend als Hofarchitekt
in Diensten der russischen Herrscher
stand. Das Bernsteinzimmer machte
er durch die Einfügung von
Spiegelpilastern und vergoldeten Schnitzereien
zu einem einzigartigen Gesamtkunstwerk,
das man schon bald als das
„achte Weltwunder“ bezeichnete. Bis heute
ist das nach dem Zweiten Weltkrieg
verschollene Bernsteinzimmer ein Mythos,
der Menschen auf der ganzen Welt in
seinen Bann zieht. Eine Ahnung von der
einstigen Pracht und Herrlichkeit bekommen
heutige Besucher des Katharinenpalastes,
wo seit dem Jahr 2003 eine
originalgetreue Nachbildung des Bernsteinzimmers
zu bewundern ist.
Mario Rausch