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Das Kärntnerlied

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Das Kärntnerlied

geschrieben am 26.09.2019 10:34

Ein vielstimmiges Synonym eines Landes?


Am Anfang war das Wort ... da war ich schon lange Fleisch, also Kind. Und bei mir war das Wort slowenisch. Auch das gesungene Wort war slowenisch. Zu Hause, wenn der Vater sich einsang auf das Singen mit dem Kirchenchor oder für die Probe mit dem Männerchor oder dem gemischten Chor. Deutsch kam dann „von selbst“ dazu, sobald ich rausging, um mit den Nachbarskindern zu spielen. Deren Eltern sprachen zwar auch Slowenisch, aber nicht mit den Kindern. So kam es, dass wir Kinder untereinander Deutsch sprachen ... bzw. das, was gemeinhin Deutsch genannt wird in Kärnten.

Las Vegas nüchtern betrachtet. Etwas über das Volkslied zu schreiben, ohne das Volk zu beschreiben, geht natürlich nicht. Da muss ich schon weiter ausholen. Und das Volk, das war gespalten. Als Kind in Südkärnten aufzuwachsen, war im Nachhinein schon eigenartig, denn ich musste bald herausfinden, dass die meisten Suetschacher*innen zwar meiner Muttersprache mächtig waren, aber nicht alle es auch verwenden wollten. Sobald sich„Fremde“ näherten, wurde vorsorglich dieSprache gewechselt. So war man als Kind ständig alert, musste man doch immer die sprachlichen Vorlieben der Gesprächspartner*innen erspüren.

Später dann, im jugendlichen Alter, als z. B. beim Gasthaus Adam schon mal ein Bier getrunken wurde, wurden diese Regeln dann oft auf den Kopf gestellt. Da lockerte der Alkohol die sonst so deutscheisernen Zungen (die sich nun ihre dehydrierten slawischen Seelen auftanken konnten) und ich bekam vorgeworfen, die 4. oder 5. oder 6. Strophe des einenoder anderen (slowenischen) Liedes nichtzu kennen. Die Sprache war politisch, das Volkslied war politisch ... aber nur nüchtern betrachtet. Im Gasthaus war Las Vegas.

Aus heutiger Sicht, war das natürlich Stress für ein Kind. Viel Erklärung – oder was noch besser gewesen wäre: Klärung– bekam man von den Eltern ja auch nicht. In meinem Fall kam dann aber die Musik – zuerst in der Kinderband, später in der Schulband, dann im Konservatorium – sozusagen als Retterin zu mir, oder eben ich zu ihr. Ich erfuhr, dass Musik Spaß machen kann und dass ich mir mit dem Improvisieren ein Stückchen Freiheit erspielen kann.

Wie a Stan auf da Stroßn. Was passierte aber in all der Zeit in Sachen Volkslied? Aufgewachsen bin ich mit der slowenischen Variante des Kärntner Volkliedes. In meiner Klagenfurter Studienzeit freundete ich mich dann aber auch mit dessen deutscher Version an [oh Gott, wie das alles klingt ... aber ich lass es so stehen], beim abend- und nächtlichen Zusammensitzen in irgendwelchen Küchen. Ohne den politischen Mief halt. Einfach singen. Das war befreiend. Und da erkannte ich, dass es nicht das Lied ist, aber der oder die Sänger*in, der oder die die Musik macht. In diesen Jahren, zwischen 20 und 25, begann ich mich dann auch in meinen Jazz-Formationen mit Volksliedmaterial auseinanderzusetzen. Das in der Kindheit Gehörte lag auf meinem Weg, wie ein Stein, den man nicht ignorieren kann, und irgendwas musste passieren.

Was passierte, war Holland. Wie so oft, kam das Nahe erst mit der Distanz. In Den Haag überkam mich der Blues des Volksliedes, oder besser gesagt: Dort realisierte ich erst dessen Wert. Gemeint ist die Erkenntnis, dass in mir oder um mich schon „etwas“ da war, und dieses Etwas galt es nicht über Bord zu werfen, sondern es zu integrieren in mein musikalisches Schaffen.

In der Ferne begann ich also das Gelernte mit dem Erfühlten zu verweben. Ein Vorgang, der wohl bis zum letzten Atemzug andauern wird. Und je älter ich werde,desto mehr verstehe ich die Welt als eine Ansammlung von Regionen. Die Welt ist Provinz – und wenn man sich vor Augen hält, dass Wien vor ca. hundert Jahren mit knapp zwei Millionen Einwohner*innen die siebtgrößte Stadt weltweit war, kommen wir fast alle aus der Provinz.

Legierungsangelegenheiten. Und was gehört zur Provinz? Genau. Die Volksmusik. Also jene Musik, die am Land „gemacht“ und gespielt wird. Alle Musik hat sich aus Volksmusik entwickelt, und zwar aus der Vermischung von zwei, drei oder mehr Volksmusiken. In New Orleans vermischten sich die Kulturen (westafrikanische Volksstämme, französische Herrschaftsklasse und andere europäische Einwanderer*innen – „Stürzler“ also, sag ich mal ganz Kärntnerisch) samt deren„Volksliedmaterial“ zu Ragtime, Blues, Swing, Jazz, in späterer Folge zu Soul, Funk, Rock, Pop, und so weiter. Nicht zuletzt ist Rap, obwohl in der Stadt geboren, auch eine Art Volksmusik. Wie der „beschnapste“ Almbesucher die Teufelsgeige oder den Saubass, nahmen junge schwarze Jugendliche halt was da war: ein alter Plattenspieler und ein Mikrofon, um damit Musik zu machen. Auch in Lateinamerika entstanden neue Musikstile, wie Samba, Salsa, Tango oder Bossa Nova, durch die Verschmelzung verschiedenster Völker. In Europa schöpften unzählige Komponisten aus der prall gefüllten Musikschatulle verschiedenster Regionen und Bevölkerungen: ob Mahler, Smetana, Brahms, Mozart, Bartok, Stravinsky, eigentlich alle,die zwei Ohren haben. Man kann ja gar nicht anders: Was man hört, verarbeitet man dann auch – besser oder schlechter – zu Musik. Und jetzt haben wir gerade erst einmal ein, zwei Jahrhunderte zurück geschaut ...

Die Sprache selbst ist nicht politisch, auch schämen sollte sich niemand wegen ihr. Schämen soll man oder kann man sich nur darüber, was jemand sagt oder was jemand nicht sagt. Ich habe jedenfalls meinen Frieden mit der Mehrsprachigkeit gefunden; manchmal passiert es zwar, dass ich angeschnauzt werde: „red‘ dajč“, oder jemand lobt den Hitler – aber Idiot*innen gibt’s schließlich überall. Die hat welcher Gott auch immer, sehr gerecht verteilt. Auch Kärnten sehe ich nicht zweigeteilt. Wer noch glaubt, dass hier nach all diesen Jahrhunderten der manchmal mehr manchmal weniger lustigen Vermischung zwei getrennte Völker leben, soll ein paar Gentests machen. Die werden nämlich von Tag zu Tag billiger.

Tonč Feinig
1971 in Klagenfurt, lebt in Bistrica v Rožu, ist als vielseitiger Tonkünstler (Pianist, Sänger, Komponist, Produzent) ein Grundpfeiler der Alpen-Adria-Welt des Jazz’.