Gigantische Lebenswerke
geschrieben am 12.12.2015 17:06Ilse Gerhardt gibt einen Jahresrückblick auf Jubiläen und Todesfälle 2015.
Er war Doyen und Leitfigur des Kärntner Kunstlebens, ein international arrivierter, in Kärnten verehrter Künstler: Giselbert Hoke starb am 18. April im 88. Lebensjahr. An seinem außergewöhnlichen Holzsarg defilierte vor dem Begräbnis in Saager bei Grafenstein ganz Kunst-Kärnten, die Stimmung im Werkhaus des Künstlers war bedrückt, weil die Trauergemeinde sehr wohl wusste, von wem sie sich da verabschiedete. Giselbert Hoke, geboren am 12. September 1927 in Warnsdorf, Nordböhmen, verlor im Krieg als Gymnasiast seinen rechten Arm, schulte sich hartnäckig auf Links um, absolvierte dann die Wiener Kunstakademie mit Bravour und gewann den Wettbewerb für die künstlerische Ausgestaltung des Klagenfurter Hauptbahnhofs. Infolge der dadurch ausgelösten Hasstiraden zog er nach Wien, kehrte aber dann wieder nach Kärnten zurück und schuf sich um Schloss Saager seinen Lebensmittelpunkt. Als Mensch und Künstler blieb Hoke ein Dynamiker, der auch im Alter seine unglaubliche Schaffenskraft nicht verlor. In seiner letzten Lebensphase stellte er Format und Bildsprache um, verschrieb sich dem absoluten Großformat und dem philosophischen wie bildnerisch interpretierten Nichts, seinem NADA. Prof. Hoke war ein Genius, der den Wert seiner Arbeit wohl kannte und der sein Genie gleichsam bis zuletzt ausreizte. Sein gigantisches Lebenswerk umfasst Malerei, Grafik, Emailreliefs und Architektur. In seinen Lebensäußerungen war er exzentrisch, radikal, abgründig und kompromisslos wie in seinem Werk. Mit Giselbert Hoke trug Kärnten einen der großen österreichischen Künstler zu Grabe.
Oman, der andere Gigant. Als folgender Doyen der Kärntner Kunst nimmt nun Valentin Oman Hokes ersten Rang ein. Das beweist die Präsentation seines Lebenswerks zum Achtziger des am 14. Dezember 1935 in St. Stefan/Rosental Geborenen im Klagenfurter MMKK. Zur Eröffnung Ende Oktober strömten Massen in die Burg und ins Schloss Ebenau (Galerie Walker), um diesem exorbitanten Künstler und seinem Werk die Ehre zu erweisen (siehe auch Bruecke 169/170). Oman ist darüber hinaus ein politisch denkender und konsequent handelnder Widerständler, stolzer Slowene, liebender Mensch. Diesen sonst stillen, zurückgezogenen Künstler zum Freund zu haben, ist ein Privileg. Seine Ruhe und Gelassenheit sind Legende, seine Gedanken druckreif. Dass er dazu noch in jeder Phase seines Lebens ein innerlich wie äußerlich schöner Mensch geblieben ist, ringt Bewunderung ab.
Famos.Pastos. Auch Franz Grabmayr, Urvater der Wiener „Wilden“, ist in diesem Jahr von uns gegangen. Der am 19. April 1927 in Pfaffenberg im Mölltal geborene Künstler lehrte an der Akademie für bildende Künstler und stach bereits in den 1950er-Jahren durch seine Materialtechniken hervor. Grabmayr malte mit Sand, Asche und Feuer, bezog aber auch andere Materialien in seine Bildsprache ein und erntete Erstaunen, Bewunderung und Unverständnis. Seine Kunst wirkte bahnbrechend und wegweisend. Seine Bindung an Kärnten wird an der Vielzahl von Ausstellungen in hiesigen Galerien deutlich. Wie sein gleichaltriger Kollege Hoke starb auch er im 88. Lebensjahr, aber genau am 8. Mai, als just die Galerie Magnet eine Grabmayr-Personale in Klagenfurt präsentierte.
Die Lavant in aller Munde. Der Hunderter der Kärntner Dichterin Christine Lavant spielte heuer eine tragende Rolle. Vor allem Wolfsberg rollte den roten Teppich aus und lockte interessierte Besucher zur großen Ausstellung ins Lavantmuseum. Es gab auch landesweit Vorträge, Lesungen, sogar ein Theaterstück und Buch-Neuerscheinungen (siehe auch Bruecke von 165/170). Aber emotional am nächsten kamen der Dichterin Gudrun Maria Leb (Texte) und Karen Asatrian (Piano), die mit unglaublichem Gefühl das weitergaben, was der Lavant am Herzen lag: Sehnsucht, Verzweiflung, Liebe … und eine Brise Humor!
Angelika Kaufmann jubilierte. Am 3. März feierte Angelika Kaufmann ihren Achtziger. Die in St. Ruprecht bei Villach geborene Künstlerin lebt seit Abschluss ihres Kunststudiums in Wien, bleibt aber stets mit Kärnten verbunden. Ihre Domäne ist die Kunst der Grafik, ihre dichten Schrift- und feministisch betonten Strickbilder faszinieren. Darüber hinaus profilierte sich Kaufmann als Buchillustratorin, hauptsächlich von Anthologien und Kinderbüchern.
Kiki wäre 80 geworden. Auch die am 22. Jänner 1935 in Bleiburg geborene Kiki Kogelnik wäre heuer 80 Jahr alt geworden. Die quirlige Popartistin, die lebenslang zwischen New York, Wien und dem Jauntal pendelte, starb aber allzu früh am 1. Februar des Jahres 1997. Überlebt haben ihre pfiffigen, kritischen bis hinterfotzigen Scherenschnittbilder, ihre umwerfenden Hangings, Glasköpfe und Popartgirls. Überlebt hat auch die Erinnerung an Kogelniks bewusste Lebenshaltung, ihren weltmännischen Charme, ihre gelebte Kritikfähigkeit und an den Atem von Amerika, den sie ihrer Heimatstadt Bleiburg/Pliberk allsommerlich einhauchte.
Tod im 98. Jahr. In Spittal starb am 20. August der Maler Peter Brandstätter im sagenhaften 98. Lebensjahr. Brandstätter, am 31. Dezember als „Silvesterkind“ in der Lieserstadt geboren, profilierte sich zeitlebens als spätromantischer Genremaler und erfreute sich regional großer Beliebtheit.
Abschied. Im 87. Lebensjahr starb die legendäre Künstlerwitwe Helene Bischoffshausen. Am 3. März 1929 in Villach geboren, heiratete Helene in den Fünfzigerjahren den Avantgardekünstler Hans Bischoffshausen und lebte mit ihm und ihren kleinen Kindern zwölf Jahre „wie die Clochards“ in Paris „mit Flöhen, Läusen und Obdachlosen“ (Helene). 1972 nach Villach zurückgekehrt, ging es der Künstlerfamilie etwas, aber nicht exorbitant besser. Als Hans Bischoffshausen erblindete, war die Familie wieder der Hoffnungslosigkeit ausgeliefert, gegen die Helene wie eine Löwin kämpfte. Wegen der progressiven Krankheit ihres Mannes kam es zu Notverkäufen seiner Kunst, sein Tod 1987 stürzte Helene in tiefe Verzweiflung. Ihr eigenes Leben, das am 8. Oktober endete, gleicht einem Hohelied der Liebe und Treue.
Hoch! In den „halbrunden“ Fünfundsiebziger segelten heuer: Die Malerin Caroline, jugendlich und temperamentvoll wie eh und je, feierte mit einer großen Ausstellung bei Maria Šikoronja in Rosegg – mit grandiosen Bildern und feurigen, lateinamerikanischen Klängen. Die facettenreiche und erstklassige Künstlerin hat sich in den Jahrzehnten ihres Schaffens an die Spitze ihrer Kollegen hochgestrampelt. Unermüdlich, wenn auch ihr Engagement als Familienmutter sie oft einbremste. Es ist zu hoffen, dass Caroline noch zu Lebzeiten jenen Rang einnehmen kann, der ihr gebührt.
Letzteres gilt auch für Franz Moro, einem Jugendfreund Carolines. Moro müsste ebenso längst im Verein mit Attersee, Anzinger und Brus genannt werden, doch die Bescheidenheit dieses Künstlers verbat ihm jegliche Eigenwerbung. Können, Wissen, seine außerordentliche Begabung und sein Humor zeichnen diesen Maler aus. Darüber hinaus war Moro ein Kunsterzieher, bei dem die Schüler wirklich viel fürs Leben gelernt und Kunstsinn erfahren haben.
Von schwerer Krankheit gezeichnet und vom Abriss seiner Minimundusstiege enttäuscht wurde der Architekt Klaus Mayr zu seinem 75. Geburtstag. Mayrs Arbeit zeichnet sich nicht nur durch planerische Modernität aus, der Architekt widmet sich auch dem Design der Möbel und des Interieurs seiner Bauten.
Drei „runde“ Siebziger. So feierte im Februar die ehemalige Kultur- und prämierte Wissenschaftsjournalistin (KTZ und Kurier) Edith Darnhofer-Demár. Seit den Achzigerjahren arbeitet sie als freie Schriftstellerin (Hekabe, Hekate, First Land, Wie Marilyn Monroe nach Kärnten kam), wofür sie u.a. mit einem der Kärntner Lyrikpreise ausgezeichnet wurde.
Auch Gunda König hatte Grund für eine runde Geburtstagsfeier. Zuerst Lehrerin, dann Schauspielerin und Sängerin, ist sie eine hervorragende Komödiantin und fesselnde Tragödin. Gemeinsam mit ihrem Komponistengatten Dieter Kaufmann gründete sie das „K&K Experimentalstudio“, mit dem das Paar anzuecken versteht.
Die Architektin Eva Rubin komplettiert das Siebziger-Damenterzett. Die bei Berlin geborene Tochter des berühmten Roland Rainer trat in die Fußstapfen ihres Vaters und profilierte sich als Exponentin einer lebenswerten humanen Architektur. Als Ehefrau des Malers Egon Rubin und Mutter der „Drachenbauerin“ Anna Rubin ist Eva das weibliche Oberhaupt einer echten Künstlerfamilie.
Ilse Gerhardt
Verstorben ist auch Prof. Ernst Fuchs (85), geboren am 13. Februar 1930 in Wien. Er hinterlässt 15 Kinder; er war ein österreichischer Maler, Grafiker, Bildhauer, Bühnenbildner, Architekt, Komponist, Autor, Philosoph und Visionär. Er gilt als ein Mitbegründer der Wiener Schule des Phantastischen Realismus. Mit Kärnten verbunden war er vor allem durch die Apokalypse-Kapelle der Klagenfurter Stadtpfarrkirche St. Egid, an der er beinahe 20 Jahre werkte.
Abschied nehmen hieß es auch von der Journalistin und (Kinderbuch)-Autorin Susanne Lawson (siehe Bruecke 169/170).