Gottfried Helnwein - KIND
geschrieben am 12.04.2017 09:23Das zentrale Thema Gottfried Helnweins ist das Kind. Seine Bilder zeigen die Unschuld und die Nachwirkung ihres Verlustes. Sie verweigern Antworten und hinterlassen den Betrachter fragend, erwecken verstörende Vorstellungen. Ihre Nicht-Eindeutigkeit und Rätselhaftigkeit zwingt zur Interpretation – zum Aufwühlen verdeckter Schichten des Erlebens.
Von frühen Aquarellen und Aktionsfotos bis zu den großformatigen Bildern der letzten Jahre vereint die Ausstellung, die als Sensation für Kärnten bezeichnet werden kann, Hauptwerke aus allen Schaffensphasen. Die umfassende Präsentation im Museum wird durch eine raumgreifende Installation Gottfried Helnweins am Bleiburger Hauptplatz ergänzt und erweitert – einzelne Hausfassaden werden zu vom Künstler gestalteten großflächigen Bildträgern. Die besondere Situation des leicht ansteigenden, nach allen Seiten geschlossen wirkenden historischen Platzes verwandelt diesen zum faszinierenden „Ausstellungsraum“. Ein solches, ein ganzes städtisches Ensemble bestimmendes Übergreifen der Präsentation in den öffent- lichen Bereich war in Österreich in dieser Weise bisher nicht zu erleben.
Allein das Zustandekommen der Ausstellung ist ungewöhnlich: Johann Kresnik, den mit Helnwein eine langjährige Freundschaft und Zusammenarbeit bei vielen Tanztheaterproduktionen verbindet, hatte die Idee zu einer Helnwein Präsentation in Bleiburg und brachte den Künstler und seine Frau Renate im April zu einem ersten Besuch, der gemütlich bei einer Jause am Kömel ausklang. Die beiden zeigten sich beeindruckt von den Möglichkeiten und sogleich wurde die Ausstellung in ersten Zügen skizziert. Im September 2016 hatte ich dann die Gelegenheit, die Familie Helnwein auf Gurteen Castle, ihrem märchenhaften Schloss in Irland, zu besuchen. Was als Nachmittagsbesprechung zur Werkauswahl gedacht war, wurde aufgrund der äußerst großzügigen Gastfreundschaft zu einem unvergesslichen Drei-Tage-Aufenthalt. Gottfried Helnwein führte mich durch seinen ausgedehnten prachtvollen Garten und Schlosspark, den eigenen Wald mit den wunderbaren alten Mammutbäumen und von verschlungenen Eiben gesäumten Wegen, den entstehenden großen Badeteich und den Stall für die geliebten Enten. Er zeigte mir sein bisheriges Atelier mit den gerade in Arbeit befindlichen Bildern und das gerade neu entstehende große, mehr als beeindruckende Atelier, dessen Planung und Ausführung er genau erklärte. Ich konnte am Familienleben teilnehmen, an all den köstlichen Mahlzeiten, die wie in einer italienischen Großfamilie am riesigen Esstisch in der herrschaftlichen Küche ausgelassen zelebriert wurden und an den Kinderspielen der Enkel. Renate Helnwein offenbarte mir die einzigartige irische Lebenskultur in einem ursprünglichen Pub und auf wunderschönen Wanderwegen. Auch Tochter Mercedes zeigte mir ihre äußerst interessanten und eigenständigen Bilder. Unvergesslich bleiben die Gespräche, in denen Gottfried Helnwein zu seiner Kunst aber auch zu vielen aktuellen Fragen des Zeitgeschehens klar Stellung bezog. Gleich zu Beginn stand das Thema der Ausstellung, das auch das zentrale Thema seines umfangreichen und vielschichtigen Werkes ist, fest: das Kind.
Die Wurzeln von Helnweins Kunst sind in seiner Kindheit in Wien zu finden. Im öd-grauen Nachkriegsalltag prägte den streng katholisch Erzogenen die düsterbildreiche Ausstattung der Kirchen. Das alles auch ganz anders sein kann, zeigten die vom Vater nach Hause gebrachten ersten Donald-Duck-Hefte.
Ab 1969 besuchte Helnwein die Wiener Akademie der Bildenden Künste. Ab 1972 kommt es zu fotografisch dokumentierten Aktionen mit bandagierten Kindern und es entstehen auch zahlreiche Aktions- Selbstporträts Helnweins, die seinen verbundenen Kopf mit angesetzten chirurgischen Operationsinstrumenten zeigen und ihm als „Schock-Maler“ Anfeindungen und internationale Bekanntheit sichern.
1985 verlässt Helnwein Wien und übersiedelt nach Deutschland. 1997 zieht er nach Irland, unterhält aber auch ein ständiges Atelier in Los Angeles und verbringt die Hälfte des Jahres in den USA. Fotografien dienen nun als Ausgangspunkt für seine Bilder, wobei ein surreales Element durch das Einfügen von aus Comics oder Mangas entnommenen Figuren zu deren befremdlich verstörenden Wirkung beiträgt.
Es ist kein Zufall, dass Helnwein seit der Mitte der 1990er Jahre in seinen Bildern, in deren Komposition, Dramaturgie, Lichtführung und Technik wiederholt auf Caravaggio Bezug nimmt. Wie dieser inszeniert Helnwein seine Bilder und Fotografien mit wenigen in einer Raumebene befindlichen Handlungsträgern, die ein scharfes Licht aus dem Dunkel hervorhebt was deren wie eingefrorenen, knappen Aktionen eine unheimliche dramatische Zuspitzung verleiht. Protagonisten der neueren Bilder sind oft Mädchen mit verbundenen Augen in sterilen Phantasieuniformen und mit Maschinengewehren bewaffnet. Andere führen in vorderster Bildebene seltsam in sich gekehrte Mangamädchen vor brennenden Öltankern oder im Bombenfeuer liegenden Häuserfronten vor. Wiederum andere der Mädchenköpfe zeigen eine in sich ruhende Abgeklärtheit, eine sanftere, weichere Lichtführung, die in merkwürdiger Weise mit den von den Mädchen häufig getragenen Uniformen kontrastiert. Hier drängt sich unwillkürlich der Vergleich mit den Mädchenporträts des Johannes Vermeer auf. Helnwein bewundert Vermeer und dessen Arbeitsweise – seine Privaträume schmückt eine von ihm selbst vergrößert und schwarzweiß ausgeführte Kopie des „Mädchens mit dem Perlohrring“.
Neben Caravaggio und Vermeer ist es vor allem Goya, den Helnwein mit ganzen Bildserien Tribut zollt. Eine von Helnwein meisterhaft ausgeführte Kopie der „Suppe löffelnden Alten“ hängt auch zur täglichen Betrachtung über seinem Esstisch. Mit Goya verbindet ihn der moralisch-ethische Beweggrund seiner Malerei, die Intention aufzurütteln, zu provozieren und zu schockieren ebenso wie die geheimnisvolle Mehrdeutigkeit und der Einbruch des Absurden und Surrealen in die alltägliche Welt. Die Verstörung des Betrachters ist eine beiden Künstlern in vielen Werken gemeinsame Strategie: „Eine Aufgabe für den Künstler war es immer, Chronist oder Zeuge seiner Zeit zu sein, jemand der versucht all das festzuhalten, was die Gesellschaft verdrängt, weil es zu ungeheuerlich und im Moment des Geschehens nicht fassbar ist.
Einer der stellvertretend für die Menschheit versucht, dem Grauen entgegenzutreten, in der Überzeugung, dass Ästhetik alles sublimieren und transformieren oder vielleicht sogar auflösen kann. Ich glaube, dass der Künstler die Welt, mit all ihrem Schrecken, durch ästhetische Mittel verwandeln und als verkleinertes Modell auf eine Bühne stellen kann, damit die Menschen den alltäglichen Totentanz einmal von außen betrachten können und vielleicht sogar sich selbst in der jeweiligen Rolle erkennen, die sie in diesem Spektakel spielen.“
Nach der Retrospektive in der Albertina/ Wien im Jahre 2013 stellt die Helnwein- Ausstellung im Werner Berg Museum Bleiburg/Pliberk im Jahre 2017 die nächste Großausstellung dieses weltweit anerkannten Künstlers, dessen hyperrealistische Bilder zu den Ikonen der Gegenwartskunst gezählt werden dürfen, auf österreichischem Boden dar. Im Werner Berg Museum werden 70 Hauptwerke aus allen Schaffensphasen zum Thema des Kindes gezeigt.
Harald Scheicher