Leben eines Dichters
geschrieben am 17.04.2012 10:30Ein großes internationales Symposium im Musil-Institut in Klagenfurt zollt Robert Musil zu dessen 70. Todestag gebührende Anerkennung. Von seinem Aufenthalt in der Schweiz bis zu seiner Inspirationsquelle, der Malerin und Ehefrau Martha Musil, reicht der literarische Forschungsreigen der Robert Musil Gesellschaft.
Robert Musil und das literarische Leben seiner Zeit
Hochkarätiges Symposium zum 70. Todestag des DichtersGrundlagen – Orte – Personen – Zeitungen – Bücher, so nennen sich die fünf Sektionen der Musil-Tagung vom 12. bis 14. 4. im Musil-Haus. Den Eröffnungsvortrag (10 Uhr) hält Hausherr Prof. Klaus Amann selbst, der sich dem Tagungsthema über die schillernde Gestalt Franz Bleis nähert, Musils ebenfalls vor 70 Jahren in New York verstorbenen Schriftstellerkollegen und literarischen Tausendsassa der Jahrhundertwende. Mit ihm sind auch schon viele Orte, Themen und Bereiche assoziiert, denn Bleis’ Autoren- und Herausgeberschaft war so vielfältig, wie es die Themen dieser Tagung sind. Kafka, Karl Kraus, Hofmannsthal, Alfred Kerr, Robert Walser, Frauen und Ehefrauen, Zeitschriften, Verleger, Virilität, Erektion und Sexualität – kein Tabu wird ausgespart. So widmet sich z. B. Prof. Birgit Nübel, Germanistin aus Hannover (Figurationen der Moderne - Mode, Sport, Pornographie. Hrsg. mit Anne Fleig 2011) der "Exterritorialität der Frau in der Männerwelt". Selbst Musils (angeblich) so zurückhaltende politische Stellungnahmen werden neu gewogen, als wäre die Rede „Der Dichter in dieser Zeit“ von 1934 nicht klar genug. Der große Roman (MoE) wie die kleine Prosa werden nachlassgestützt abgehandelt, zumal die Musil-Edition hierorts ihren Sitz hat. Karl Corino, der unermüdliche Musil-Exegete, wird zur Abwechslung eigene Lyrik und Prosa vorstellen, während Standard-Redakteur Oliver Pfohlmann seine druckfrische Musil-Monographie (rororo) präsentieren wird – gewiss einer der Höhepunkte, denn gegenwärtig erleben wir spannende Konkurrenzen zwischen den Musil-Forschern, die ihr Büchlein herausbringen und eine neue Seite des „Mannes ohne Eigenschaften“ (MoE) aufschlagen wollen.
Schweiz: Musils Aufenthalt (von September 1938 bis April 1942) wird endlich, wie es der Autor damals schon prophezeite, ausführlich kommentiert. „Musil und das literarische Leben in der Schweiz“, lautet Rosmarie Zellers schlichter Titel. Der Dichter selbst stellte zu diesem Thema ziemlich resignativ fest: Es ist in der Schweiz leider so [...]. Man ist solide im Urteil und hält den Toten die Treue (…); auch ich fühle mich einigermaßen sicher, dass man einst meinen Schweizer Aufenthalt wohlgefällig buchen wird, aber erst auf seinen Tod warten zu müssen, um leben zu dürfen, ist doch ein rechtes ontologisches Kunststück! (Briefe, S. 1083). Die von der Universität Genf kommende Literaturwissenschafterin Antonia Eder wiederum schlug Brücken zu "Hofmannsthal und Strauss als kongeniale Akteure zwischen Musik und Literatur".
Martha Musil: Dass Musils Ehefrau im Mittelpunkt des Referates von Regina Schaunig steht, ist besonders reizvoll, denn die Malerin und Stendhal-Übersetzerin hätte sich längst ein eigenes Symposium verdient. Sie hat ein Jahr nach dem unerwarteten Ableben ihres Mannes am 15. April 1942 den Band 3 des MoE heraus gebracht („Aus dem Nachlass“, Imprimerie centrale, Lausanne 1943, 462 Seiten). Und sie war es, die das Werk ihres Mannes inspiriert und ihn liebevoll und oft auch entbehrungsreich durchs Schriftstellerleben begleitet hat. „Er und Sie“, heißt der Artikel, den ihr Musil 1935 widmete. Dort steht über die begabte Lovis-Corinth-Schülerin halb im Ernst, halb ironisch geschrieben: Sie mochte schon beim Figurenmalen Männer mit Muskeln nicht ausstehen; ich aber bin einer, wenn auch ohne die ganze dazugehörige Überzeugung. Was immer auch an seltsamen Dingen über sie und den Autor des „Mannes ohne Eigenschaften“ behauptet worden ist, wir erhoffen uns von diesem Musil-Symposium endlich Erfrischendes, Authentisches über ein faszinierendes Künstler-Ehepaar des 20. Jahrhunderts. Über eine Frau, von der ihr Mann nach drei Jahrzehnten sagen durfte: Sie ist nichts, was ich gewonnen, erreicht habe, sie ist etwas, das ich geworden bin und das ich geworden ist.
Pioniere: Wie man sieht, an Spannungen und Erwartungen weckt dieses von Walter Fanta und seiner Klagenfurter Crew organisierte Kolloquium ungeheuer viel. Karl Dinklage, der Musil-Pionier, der vor 25 Jahren in Klagenfurt verstorben ist, hätte seine helle Freude über das Musil-Festival. Auf den von Prof. Dinklage 1960 und 1970 bei Rowohlt herausgegebenen Bänden „Robert Musil. Leben, Werk, Wirkung“ und „Studien zu seinem Werk“ fußen ja die heutigen Forschungen.
Jozej StrutzKolloquium der Internationalen Robert Musil Gesellschaft
„Robert Musil und das literarische Leben seiner Zeit“
12. – 15. April 2012 am Robert-Musil-Institut Klagenfurt
www.musilgesellschaft.at
Oliver Pfohlmann
Musil, Robert
Reihe rowohlts monographien
rororo, 160 Seiten
978-3-499-50721-2
Musil-Forum
Studien zur Literatur der klassischen Moderne
im Auftrag der Internationalen Robert-Musil-Gesellschaft
herausgegeben von Norbert C. Wolf und Rosmarie Zeller
Band 31, Verlag de Gruyter
ISBN: 978-3-9503001-1-6