welter.skelter
geschrieben am 06.06.2018 08:44„Wo ich bin, ist oben, falls ich mal unten bin, ist unten oben.“
Also gut, ich geb’s zu: Ich häng in den Seilen. Seit geraumer Zeit schon. Den einen harten Schwinger direkt auf die linke Niere, den hab ich nicht kommen sehen, und der folgende Aufwärtshaken, der hat mir den Rest gegeben. Das wär’s dann auch schon gewesen, wenn ich mich nicht mit zwei langen Ausfallschritten in die Seile gerettet hätte. Dort hänge ich nun und bin angezählt. Aber noch sind drei volle Runden zu gehen, und ehe der Schiedsrichter sein K.O. in meine Richtung brüllen kann, werd ich wieder hochkommen. So viel ist sicher. Und bis dahin halte ich mich an die Boxlegende Rene Weller (genau, der schöne Rene), der, als er gerade seine mehrjährige Haftstrafe absaß, von seinem Interviewpartner Rainald Goetz (genau, der coole Goetz) nach seinem Befinden befragt, nur lapidar meinte: „Wo ich bin, ist oben, falls ich mal unten bin, ist unten oben.“
Grundgütiger! Rene, dein im Grunde doch recht einfacher Geist bringt es auf den Punkt und weist uns Idioten den Weg. Nur ich selbst bin also das Maß, ich selbst bestimme, was oben und was unten ist. Das vermeintlich esoterische Geschwurbel, das eher zu einem hundertjährigen Zen-Mönch als zu einem wegen Kokainhandel verurteilten Boxer passt, hilft uns in der bittersten Stunde. Nicht nur mir in den Seilen, sondern auch all jenen, die am Rand, am äußersten Rand, am Tellerrand, in einer unbestimmten Grauzone, agieren und tun. Dort, an der künstlerischen Wahrnehmungsgrenze, da ist wenig Licht, da gibt es kaum Beachtung, da ist die Verzweiflung oft groß. Ja. Aber manchmal wird eine*r vom äußersten Rand in die Mitte gespült, geradewegs ins Licht, und wird belohnt für jahrelanges unermüdliches Tun. Das ist schön und gut. Und selten. So selten, dass es für die ‚Nicht-in-das- Licht-Gespülten‘ immer und einfach nur lauten darf: weiter machen, weiter tun, und das Unten zum Oben erklären! Denn Schluss, und das weiß man nicht erst seit dem ‚schönen Rene‘, ist erst nach dem finalen Gong am Ende der zwölften Runde!
Oliver Welter
Musiker, Schauspieler und Autor. Geboren in Klagenfurt, lebt in Klagenfurt und Innsbruck, stirbt vermutlich in Klagenfurt oder Innsbruck oder gar nicht.